Westfalenpost, September 1958
M e n d e n. Die Meinungen über Kunstwerk und Kunstausstellungen sind stets und in aller Welt unterschiedlich und gehen offensichtlich im Falle der Ausstellung Frigger in Menden ganz besonders auseinander. Wir lassen deshalb eine zweite Stimme zu Wort kommen, erinnern aber in diesem Zusammenhang ausdrücklich daran, daß ein Kritiker stets nur seine persönliche Meinung sagen kann, die man auch respektieren sollte. Erst recht, wenn er sich - wie im Falle Dr. Hohmann und im Falle M. - ernsthaft mit moderner Kunst auseinandergesetzt hat. (Die Red.)
"Wer zu Beginn der vergangenen Woche in der WESTFALENPOST die ,Gedanken zur neuen Ausstellung' las und neugierig geworden durch den sich kritsch gebärdenden Artikel von M., das Heimatmuseum besuchte, der mag sich in der Begegnung mit dem Werk Vinzenz Friggers gefragt haben, ob Herr M. sich wirklich die Mühe gemacht hatte, diese Bilder zu betrachten. Es mag einem solchen. Besucher wie mir ergangen sein, daß er etwas ratlos Bild und kritisches Wort gegeneinander abzuwägen versuchte und sich fragte, wie es zu solch einer Fehlmeinung kommen konnte.
Man muß nicht unbedingt den Menschen Frigger kennen, um in den ausgestellten Zeugnissen seines künstlerischen Schaffens eine tiefe Ehrlichkeit des Suchens und eine echte Bescheidenheit der Mittel zu erfahren, die jeder Phrase abhold sind und die, ohne mit dem Beifall des Publikums zu kokettieren, ernst und still sich um den Weg nach einem echten künstlerischen Ausdruck unserer Zeit bemühen. Frigger ist zutiefst ein musikalischer Mensch. Wer diese Komponente in seinen Bildern übersieht, hat ihn nicht begriffen oder versäumt, sich den Zugang zu seinen Bildern zu erobern, Der hat kein Gehör für das, was dem Werk Friggers so eigentümlich ist.
Da sind die dunklen Moll-Akkorde aus kaltem Blau und starkem Gelb, in herber Fugierung durchgeführt in den Waldbildern, bewegend vor allem im ,Toten Wald'. Da baut sich im 'Cellospieler' ein Bild aus großen Klängen auf - die Landschaften sind polyphon zur Pastorale verdichtet; das Motiv der ruhenden Kühe wird zum abgewogenen Dreiklang. Die leuchtenden Farbsymphonien der 'Südlichen See', des hellen Frühlingsbildes und der Komposition 'Glut' in der, die Brandung aus Rot das dunkle Gestänge zerschmilzt, sind konsequente Antwort in männlichem Dur auf den in Moll gestimmten Kontrapunkt des Tragischen, das uns aus manchen Bildern anweht.
M. glaubt, um seinen Kritizismus zu fundieren, Frigger fünf Stilarten vorrechnen und ihm Anlehnung an Hofer, Picasso, Chagall und Hartung vorwerfen zu müssen. Gewiß, Frigger spricht in seinen Bildern die Sprache unserer Zeit - aber er spricht seine eigene Mundart und hat es nicht nötig den Chargon von Berühmtheiten nachzuplappern und, um beim Bild der Sprache zu bleiben, Schlagworte zu bemühen. Weitaus gefährlicher und dem Begriff der Phrase näher will es erscheinen, wenn man, um sich expert zu zeigen, bei dem Motiv des schreienden Hahnes Chagall, bei Halbfiguren Hofer und bei abstrakten Kompositionen Picasso und Hartung zitieren zu müssen glaubt. Das Zitat wird dann gefährlich, wenn es, als Schlagwort gebraucht, leer von echter Kenntnis bleibt. Moderne Kunst besteht eben nicht nur aus ein paar bekannten Namen.
Wenn ich selbst zu einem Zitat greifen darf, so ist es das Wort von Rilke: "Mit nichts kann man ein Kunstwerk so wenig berühren als mit, kritischen. Worten!" Hätte M. sich wirklich und ehrlich um ein Verständnis der Bilder von Frigger bemüht, hätte er zumindest erkennen müssen, daß ihnen eine sehr konsequente Entwicklung zugrunde liegt - nämlich der Weg von der umrissenen und be-zeichneten Form zum reinen Farbklang, vom Ton als malerischem Element zur Farbe als Ausdrucksträger und Aussagewert. Und er hätte zudem im Bemühen um eine Begegnung - und wie anders kann man einem Kunstwerk gerecht werden? - erfahren müssen, daß Frigger seinen Gewinn aus abstrakten Gestaltungen immer wieder auf gegenständliche Elemente anzuwenden und an ihnen zu erproben sich bemüht! Wie selten ist heute dieser Mut zu künstlerischer, Ehrlichkeit und diese gestaltende Folgerichtigkeit!
Sicher - man muß sich bemühen um diese Dinge. Das ist freilich manchmal unbequem, sehr viel unbequemer als das unbeschwerte, jungenhaft leichtfertige Unterfangen, im Gewande einer "bloßen und schnellen Reportage" (wie Herr M. selbst zu schreiben beliebt) einen ernsthaft um Echtheit und Ausdruck ringenden Künstler mit vorwitzigen Worten abzuschließen, vor allem, wenn man sich gerade eine halbe Stunde Zeit genommen hat, wie der Kritiker M. an den Bildern der Ausstellung vorbeizulaufen. So geht es nicht, soll nicht, wie in dem Artikel, durch diese Un-art die Kritik zur beleidigenden Ungezogenheit entarten."
Dr. Johannes Hohmann