Westfalenpost, September 1958
M e n d e n. Ein Freund schickte mir in diesen Tagen aus Berlin eine Karte: Eine Seite Briefmarke herzl. Grüße usw., auf der anderen Seite der Spruch des in vieler Hinsicht epochemachenden Willi Baumeisters. "Je naturalistischer ein Gemälde ist, desto mehr wird es zur Wachsleiche!" Als ich durch die neue Ausstellung. im- Menden ging, in der zur Zeit 80 Arbeiten des Büdericher Künstlers Vinzenz F r i g g e r gezeigt werden mußte ich an diese Karte aus Berlin denken.
Die Karte und diese Ausstellung sind ein nicht zu entkräftigender Beweis, wie sehr heute auch in Künstlerkreisen mit abgedroschenen Sprüchen hantiert wird, wie man unbedingt auf modern umschalten will, wie man vielleicht sogar von der Umwelt dazu, gezwungen wird mitzuhalten, um weiter anerkannt zu werden.
Traurigkeit strömt die Ausstellung aus, in der fast fünf Stile aus den letzten zwölf Schaffensjahren des Künstlers zu sehen sind. Was dabei bedrückt, ist nicht nur gewollter Hang zur Modernen, (das wäre auch bloß der natürliche Fortschritt, wie er bei jedem Künstler. vorhanden sein sollte), bedrückend wirken die völlig voneinander unabhängigen Bilder. Gewiß gibt es Kompositionsreihen, Mischtechniken, in denen die Erkenntnisse des Vorherigen verwandt werden, doch das Fehlen eines eigenen Stils schafft eine große Inhaltslosigkeit.
Jedes der Bilder läßt sich einordnen: von Hofer geht die Linie der Anlehnungen über Picasso und Chagall bis hin zu Hartung. (Auf unserer Bildleiste am Kopf der Seite: Der "Engel" in feiner phantasievoller Art und als Gegensatz dazu die kräftige zweifarbige Spiegelung "Mondlicht auf Fachwerk".) Nun, es ist für einen Künstler schwer, etwas Neues zu bieten, und niemand sollte von einem Künstler etwas Neues fordern - das ist nicht Sinn der Kunst. Doch ein Gemälde muß etwas Bleibendes und Ewiges schenken, verlangt also vom Künstler das gleiche Streben zu einer eigenen Aussage.
Man kann keinem Menschen vorwerfen, daß sein Schaffen einem großen Künstler gleicht. Nun wenn er wie jener Große denkt und fühlt, muß es ihm unwillkürlich in einigen oberflächlichen Zügen ähnlich sein. Man kann einem Menschen jedoch vorwerfen, daß er sich an Vorbilder klammert, daß er dabei von den meisten enttäuscht wird, sich umwendet, zum nächsten und doch nie jenem Ziel näher kommt, was ihm vorschwebt und was ihn treibt, weil man zu s e i n e m Ziel auch s e i n e n Weg einschlagen muß.
Dieses Klammern zerstört das andererseits so inhaltsvolle Schaffen des Künstlers Frigger. Wie lange wird er noch bei anderen nach einer Aussageform suchen, bis er merkt, daß sich seine Gedanken und geistigen Bilder nicht in die Formen der anderen pressen lassen, daß sie beengt werden von den verschiedenen Stilrichtungen, in denen sich der Meister versucht!
Wie kräftig seine Bilder sein könnten, zeigen die ausgestellten Sachen, in denen ein anerkennenswertes Wollen steckt. Man braucht nur an den Clown zu denken. Wie nimmt er den Beschauer, gefangen, läßt ihn mit dieser ulkigen Figur Mitleid haben, läßt Ihn erkennen, was in diesem Menschen vorgeht, wenn die bunten Lichter verlöschen! Wie er sich gequält hat in ein falsches Lachen, "wie man ihn brüllend belohnte, ewige Späße erfordernd aus einem Herzen, das weinte!" - Wie nimmt es den Beschauer gefangen und stößt ihn dann doch ab durch die "stilvolle Stillosigkeit". Diese Primitivität, in der Frigger sich versucht, ist nicht aus seiner Disziplin entstanden, die Fülle der Natur auf wenige Stufen zu reduzieren (Paul Klee) - sie ist Spiegel einer bloßen und schnellen Reportage, die den Augenblick spiegelt, aber nichts Bleibendes beinhaltet.
Schuld an diesem zerfaserten Schaffen hat nicht in allen Teilen der Künstler, die Schuld liegt zum großen Teil auch an der Umwelt, die modern sein will und deshalb "modern" fordert, mit Hilfe einer unduldsamen Jury und auch jener Karten, auf denen die epochemachenden Sprüche um die Welt flattern, meist Sprüche, die nur auf das Schaffen eines einzelnen zutreffen und nicht verallgemeinert werden können.
J. M.