Gerhard Hallen, Museumsleiter, im Katalog zur Ausstellung von 1980
Ein Katalog mit Gemälden, Zeichnungen und Plastiken V. Friggers ist Rückblick auf ein Schaffen, das nicht als abgeschlossen gelten kann. Der nunmehr siebzigjährige Künstler erlebt mit zunehmend staunendem Sinn, was sich dem schauenden Auge darbietet. Er hat das rein Abbildende - wie auch das Erzählende des Gegenständlichen - abgestreift und zu einer eigenen - gleichnishaften - Bildsprache gefunden. In unvergleichlicher Weise werden Natur und Mensch durch die Wahrnehmung und das Erleben des Künstlers widergespiegelt. Das sich in den Gemälden, Zeichnungen und Plastiken Darstellende fasziniert den Betrachter -. Ein großer Kreis von Freunden und Sammlern ist Beweis für die nachhaltige Wirkung seiner Kunst.
V. Frigger wuchs im sauerländischen Elleringhausen auf. Mit den heimischen Wäldern, Bächen, Wiesen, Hohlwegen und bewachsenen Hängen gleichsam verwachsen, erlebte er die Pflanzen- und Tierwelt im Rhythmus der Tagzeiten, war ihm das Landleben in seiner damals noch naturgegebenen Härte vertraut.
Er sah derbe, abgearbeitete Menschen und erahnte doch die wirkliche Ordnung, in der sich ihr Leben erfüllte. Menschen, die in der von ihnen gestalteten Natur - den Wiesen und Äckern - stehen, leben und wirken in den Werken des Künstlers nach. Sie sind (Seiten 53, 54, 56, 59) in einer tief begriffenen Würde und Größe dargestellt. Indem das Einvernehmen zwischen Mensch und - von Gott geschaffener - Natur zum Ausdruck gelangt, heben sich die Werke des ländlichen Motivkreises von den durch spätere Erfahrungen beeinflußten Arbeiten deutlich ab - wenn auch ein Bestehen des "Prinzips Hoffnung" das gesamte Schaffen des Künstlers überstrahlt ...
Ein tief verinnerlichtes Erleben verknüpft sich mit den Wahrnehmungen des damals Fünfjährigen in der elterlichen Küche. Wenn er früh mit seiner Mutter aufwachte und beobachtete, wie sie das Feuer im Herd anblies - mehrmals vergebens, weil der um das Haus tobende Sturm die Flammen im Rauch erstickte -, wenn dann die rote Glut durch die Ritzen leuchtete, drangen die ersten Geräusche - das Schreien eines Hahnes, das Anschlagen eines Hundes und das Schnaufen der im Stall liegenden Kühe - auf den staunenden Knaben ein. Dann begann selbst ein Stück Holz zu leben und ihn anzublicken. Dann bildeten sich die Wahrnehmungen des Knaben durch seine Einbildungskraft in frühen Kritzeleien ab.
Eben diese tief leidenschaftliche Empfindung, mit der das Wahrnehmbare erfaßt wird, gelangt heute - mehr denn je - künstlerisch zum Ausdruck. In den Naturbildern des gereiften Künstlers schwingen die Erlebnisse der frühen Kindheit mit, bestimmen die Wahl der Motive wie auch die Formgebung und Farbgestaltung - bis zu ihrer Verdichtung in den Abstraktionen ...
Was sich in der frühen Biographie des Künstlers andeutet, die Auseinandersetzung mit Mensch und Natur, bleibt sein Anliegen.
Wenn wir die Landschaftsbilder - insbesondere die Motive der Nordsee sehen, fällt uns die Bevorzugung des Herben und Dynamischen auf'. Oft sind die Bilder vom Sturm durchtost, Wolken treiben am Himmel - keine Idylle, totaler Verzicht auf Staffage jeglicher Art. Zwar heben sich die Bilder, deren Motive die mediterrane Landschaft wiedergeben, in Bezug auf das Moment des Dynamischen von ihrem norddeutschen Pendant ab, doch wird auch hier in Farbgebung und Gestaltung der Bildinhalte das Romantische, Idyllische und das Fernweh gemieden.
Nicht ohne Grund sind die Weite der Landschaften und die Spiele des Lichts wesentliche Elemente, die durch Farbgebung und Motivauswahl subtil variiert werden. Die Natur weist in den Bildern V. Friggers über sich selbst hinaus. Weite steht für die Unendlichkeit von Zeit und Raum, Licht für den Schöpfer und das von ihm getragene Prinzip der Hoffnung. Natur in diesem Sinne stellt an den Maler höchste ethische Ansprüche. Sie verlangt ein ständiges Bemühen um Respekt, d. h. Rücksicht auf sie und das sie tragende Wesen und Prinzip, sie fordert leidenschaftliche Empfindung. So drückt sich auch die Religiosität des Menschen Frigger in den gleichnishaften Naturbildern aus - gipfelt aber zugleich in den abstrakten Gemälden, denen der Künstler - sinngemäß - Naturhaftes zuordnet. Es sind eben keine Abstraktionen im strengen Sinne des Begriffs, sondern dem Gegenstand verpflichtete Verdichtungen gleichsam gemalte Naturgedichte ...
Der Respekt vor der Schöpfung und den aus ihr zu entbergenden Erkenntnissen zwingen V. Frigger zur Skepsis gegenüber den rigorosen Eingriffen des Menschen in die Natur. So engagiert, wie er künstlerisch und lebenspraktisch gegen das Eingreifen in die Natur des Menschen und die Vernachlässigung von Menschen vorgeht, stellt er sich gegen die Zerstörung unseres Lebensraumes. Wenn wir diese Haltungjedoch als Kulturpessimismus odergarals Fatalismus werten wollten, würden wir den Künstler mißverstehen. Sehen wir auf seine Zechenlandschaften (Seiten 24,47), dominiert zwar die Zerstörung ja die wüste Leere -, doch in scharfem farblichen Kontrast steht oft der Horizont über all dem und deutet an, daß auch in der Situation der totalen Umkehrung von Natur in Unnatur das "Prinzip Hoffnung" bleibt.
Das Aquarell und seine eigene Farbigkeit kommen V. Frigger entgegen. Ist diesem Künstler doch die Handhabe gegeben - da er über das handwerkliche Können verfügt - spontan zum Ausdruck zu gelangen, das aus ihm Hervordringende spontan in Bilder umzusetzten. Insbesondere die in den letzten Monaten gemalten Aquarelle aber haben erwiesen, daß in bezug auf die Farbigkeit und Raumgebung V. Frigger das letzte Wort noch nicht gesprochen hat, daß er - und so ist es aus dem Anspruch an seine Bilder zu verstehen eine schlüssige Antwort nie wird geben können, daß er sich vielmehr auf dem Weg zur Erkenntnis - im sokratischen Sinne - befindet. Das mag sein, was uns ergreift und zugleich Hochachtung abfordert: das konsequente Beschreiten dieses Weges - mit stetig zunehmender Könnerschaft und Ausdruckfähigkeit. Wenden wir uns den von V. Frigger dargestellten Menschen - außerhalb der beschriebenen Sphäre des Landlebens - zu, können wir nur betroffen reagieren. Einsame Menschen - wie das horchende Kind -, verlassene Menschen, Menschen in Not sind es - sich selbst überlassen - zeitweilig gar in die Enge getrieben (Seite 51). Diese Bilder enthalten nicht selten das Bösartige, das den Menschen innewohnt, wenn sie lieblos einander begegnen - in Finsternis, Enge, Verlassenheit.
Fürwahr, ein anderer Frigger, der das in der Natur unmittelbar hervortretende Prinzip der Hoffnung im Menschen verzerrt widergespiegelt sieht. Der Mensch - soweit er als unter Lieblosigkeit leidender dargestellt ist, ist nicht mehr als Ebenbild seines Schöpfers, sondern als sein Zerrbild im wahren Sinne der menschlichen Qual zu sehen. Diese Bilder ergreifen uns direkt, sind sie doch ein offener Hilferuf gegen den Mangel an Mitmenschlichkeit.
In V. Frigger begegnet uns das - von Max Frisch beschriebene "Unaussprechliche", Es offenbart sich im Werk des Künstlers ein Stück seiner selbst - seines Wesens.
Ständig nach neuen Formen der Aussage und der Komposition suchend, entgleitet uns der Künstler, noch ehe wir eine schlüssige Aussage über sein Schaffen gefaßt zu haben glaubten. In diesem Sinne liegt in der Offenbarung seiner selbst nicht die Gefahr der Preisgabe. Zu reich ist der Künstler, als daß er sich erschöpfen könnte ...