Vincenz Frigger war eine Doppelbegabung:
Er war Musiker (von Beruf). Und er war Maler.
Er wurde geboren am 25. Juli 1909 als sechstes von sieben Kindern in Elleringhausen/Hochsauerland. Der Vater war Schlosser, die Mutter führte ein kleines Gemischtwarengeschäft. Die kleine Landwirtschaft warf kaum Ertrag ab: Der steinige Acker am Fuß der Bruchhauser Steine brachte bestenfalls ein paar Kartoffeln hervor, und die einzige Kuh gab etwas Milch.
Aufgrund der schmalen Einkünfte konnten die Eltern nur dem ältesten Sohn eine akademische Ausbildung ermöglichen. So hatte mein Vater nicht die Chance, eine weiterführende Schule zu besuchen.
Wenn man bedenkt, wie belesen er war und welche Bildung er sich im Lauf seines Lebens angeeignet hat, kann man die Kraft ermessen, mit welcher sich eine Begabung durchzusetzen vermag, auch wenn die Ausgangsbedingungen denkbar ungünstig sind.
Schon früh begann er zu zeichnen. Das erste Aquarell (Landschaft am Bach) entstand im Jahre 1922, als er 13 Jahre alt war, und zeugt von liebevoller Naturbetrachtung. Ganze Tage durchstreifte er die weiten Wäldern seiner Heimat und entwickelte dabei zeitweilig ein geradezu pantheistisches Verhältnis zur Natur. Die Wald-Bilder, die 30 Jahre später entstanden, spiegeln noch immer die Faszination, welche die dunklen Stämme und die dahinter hervorbrechende Sonne auf ihn ausübten (Wald und Wald).
Das älteste Pastell, das erhalten ist, stammt aus dem Jahr 1928, als er 19 Jahre alt war (Dorfplatz).
In dieser frühen Zeit zeigte sich auch schon seine besondere Begabung für die Porträtmalerei. Aus dem Jahr 1929 ist eine Bleistiftzeichnung erhalten, die den Großvater beim Lesen zeigt. Die Charakterisierung ist in überzeugendem Maße gelungen: Der Betrachter gewinnt einen unmittelbaren Bezug zu der ehrwürdigen, patriarchalischen Gestalt eines Mannes, der in einfachsten Verhältnissen lebte (er war von Beruf Nagelschmied), aber in einem langen Leben offenbar ein hohes Maß an Weisheit erworben hatte (Porträt des Großvaters).
Es war das Verdienst des Volksschullehrers Welter, die musikalische Begabung des kleinen Dorfjungen entdeckt und als erster gefördert zu haben. Bei ihm lernte mein Vater die Anfangsgründe im Orgelspiel und übte zu Hause auf einem Spinett. Wer dieses für sein Elternhaus ungewöhnliche Instrument angeschafft hat, ist nicht mehr zu ergründen. Die Vermutung liegt nahe, dass es sein älterer Bruder Josef war, der inzwischen Theologie studierte. Denn bezeugt ist, dass dieser ihn als junger Vikar im Jahre 1929 aus dem Heimatdorf heraus und zu sich nach Wickede/Ruhr holte.
Er kaufte seinem jüngeren Bruder einen Steinway-Flügel und gab ihm die Gelegenheit, Orgelunterricht zu nehmen, zunächst bei Georg Nellius (Neheim), sodann bei Theodor Pröpper (Balve) und schließlich am Konservatorium in Dortmund. Dort ging es darum, einen regelrechten Abschluss zu erwerben. Auf diesen Abschluss allerdings musste er noch mehr als 20 Jahre warten. Denn weil er unter Protest eine musikwissenschaftliche Vorlesung verließ, in welcher der Dozent mit nationalsozialistischen Parolen die Kirche lächerlich machte, wurde er gezwungen, das Konservatorium zu verlassen.
Am 1. Weihnachtstag des Jahres 1938 heiratete er Maria Frigger, geb. Heide (Porträt der Ehefrau und Porträt der Ehefrau), und trat nach einem kurzen Zwischenspiel in Neheim-Hüsten/Sauerland seine erste Stelle als Organist und Küster in Büderich, Westfalen, an, das damals noch nicht zur Stadt Werl gehörte.
Schon bald wurden die Jungverheirateten durch den Krieg getrennt. Im Juni 1940, drei Tage nach der Geburt des ersten Kindes, wurde mein Vater eingezogen und absolvierte in der Kaserne Münster-Gremmendorf die Grundausbildung. Aus Gewissensgründen meldete er sich zu den Sanitätern und wurde an verschiedenen Orten im Deutschen Reich und in Belgien eingesetzt. Da er keine militärische Karriere anstrebte, brachte er es nicht weiter als bis zum Gefreiten, doch unter den feinsinnigeren Kameraden fand er Freunde wegen seines vornehmen und konsequenten Charakters.
Aus dieser Zeit ist ein Skizzenbuch erhalten. Obwohl mein Vater die Grausamkeit des Krieges hautnah erlebte, wenn es galt, schwerverletzte und entstellte Körper aus havarierten Militärmaschinen zu bergen, finden diese Erfahrungen keinen unmittelbaren Niederschlag in den Kriegszeichnungen. Sind sie verloren gegangen oder bewusst ausgespart, weil das Schreckliche letztlich nicht darstellbar ist?
Dagegen tragen vier Federzeichnungen den Titel „Öde“. Die barackenartige Soldaten-unterkunft in einer trostlosen Landschaft spiegelt den Seelenzustand
des Zeichners, den er auf dem Blatt gegenüber mit den Worten kommentiert:
„Triste Entdeckungen: Verbote. Das Gedächtnis kann sie nicht alle fassen. Betrogene Hoffnungen. Hierher versetzt! Na dann!“
(Soldatenunterkunft)
Das Ende des Krieges erlebte er im Auffanglager Gardelegen bei Stendal. Von dort aus schlug er sich im Chaos der letzten Kriegstage zu Fuß nach Büderich durch. Aufgrund der Empfehlung durch den Büdericher Lehrer Brauckmann, den die Amerikanern wegen seiner untadeligen Vergangenheit zu ihrem Berater ernannt hatten, bekam er sehr bald eine Anstellung im Werler Lazarett und konnte wenig später seinen Küster- und Orgeldienst in Büderich wieder aufnehmen.